18. März – Tag der politischen Gefangenen

Der 18. März ist ein geschichtsträchtiges Datum. 1848 kämpfte das zu jener Zeit entstehende Proletariat auf den Barrikaden gegen die herrschende Klasse. Im Jahr 1871 erhoben sich in Paris die Arbeiter*innen, die unter dem heute bekannten Begriff der Pariser Commune eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung schaffen wollten. Zehntausende wurden getötet und rund 13.000 erhielten zumeist lebenslängliche Haft. 1923 erklärte die Rote Hilfe den 18. März zum Tag der politischen Gefangenen. Der Faschismus setzte dieser Tradition ein jähes Ende.

Erst in den 1990er Jahren gab es Bestrebungen, den Tag der politischen Gefangenen mittels eines bundesweit durchgeführten Aktionstages wieder in der linken Bewegung zu etablieren. Seit dem werden jährlich Aktionen, Demonstrationen und Veranstaltungen organisiert, um an die Situation der politischen Gefangenen aufmerksam zu machen und sich mit ihnen zu solidarisieren. Weltweit befinden sich Tausende Menschen in den Gefängnissen, weil sie gegen Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen. Einer unten ihnen ist Simón Trinidad, der als ehemaliges Mitglied der kolumbianischen Guerilla in einem Hochsicherheitsgefängnis in Colorado/USA inhaftiert ist.

Freiheit für Simón Trinidad und alle politischen Gefangenen!

Artikel in der Rote Hilfe Zeitung

Die Rote Hilfe Zeitung (RHZ) ist das Printorgan der größten linken und strömungsübergreifenden Solidaritäts- und Antirepressionsorganisation im deutschsprachigen Raum, der Roten Hilfe. Sie hat bundesweit über 10.000 Mitglieder und bringt mit der RHZ viermal im Jahr eine Zeitung heraus, die Tausende Personen erreicht. In der aktuellen Ausgabe 01/2020 gibt es im Bereich „Internationales“ einen Artikel über unser Komitee zur Freilassung von Simón Trinidad und weiterführende Informationen zu seinem Fall. Die Zeitung mit dem Artikel gibt es als PDF-Version und diesem Weblink zur freien Verfügung.

Prekäre Situation der Gefangenen in Kolumbien

Für uns ist es manchmal schwer vorstellbar, wie schwierig und vor allem prekär die Situation der Gefangenen in den kolumbianischen Gefängnissen ist. Auch wenn Simón Trinidad nicht in Kolumbien inhaftiert ist und wir als Solidaritätskomitee vorrangig seine Situation im Blick haben, so wollen wir doch auch den Blick über den Tellerrand werfen und uns solidarisch mit den politischen Gefangenen in Kolumbien zeigen. Unter den fast 200.000 Gefangenen, wobei die überwiegende Mehrheit von über 98% (191.382 Gefangene) durch das im Jahr 1992 gegründete Nationale Institut für Strafvollzug und Gefängnis in Kolumbien INPEC (Instituto Nacional Penitenciario y Carcelario) verwaltet wird, befinden sich Tausende politische Gefangene. 65% der durch das INPEC verwalteten Gefangenen, also fast 125.00, sind in den nationalen Haftanstalten ERON (Establecimientos de Reclusión del Orden Nacional) inhaftiert. Dort sind die Bedingungen mehr als schlecht.

Das INPEC beschreibt in ihren Berichten (hier der Bericht vom Januar 2020) selbst von einer Überbelegung. So übersteigt die Anzahl der Inhaftierten „immer erheblich die Kapazität der ERON´s“. So gab es laut Dokumentation des INPEC (1) eine Gefängniskapazität von 80.156 Plätzen und mit einer realen Anzahl von 124.188 Insassen, was zu einer Überbelegung von 44.032 Menschen führte, was einer Überbelegungsrate von 54,9% entspricht. Die am meisten überfüllten Gefängnisse befinden sich in den größten Städten des Landes. In Cali, wo das Gefängnis EPMSC – ERE für 2.046 erschaffen wurde, sind 5.988 inhaftiert, eine Überbelegungsrate von 192,7%. Ähnlich sieht es im COMPLEJO COBOG in Bogotá aus (Kapazität: 6.002, Belegung: 9.383) oder im EPMSC in Medellín (Kapazität: 1.368, Belegung: 3.334). Dies ist die Situation in fast allen Gefängnissen des Landes und die offiziellen Zahlen mit Vorsicht zu genießen, denn geschönt.

Ein Drittel der Inhaftierten ist bisher noch nicht rechtskräftig verurteilt. Dies ist ein hoher Anteil und zeigt deutlich, dass viele erst einmal inhaftiert werden und mehrere Monate und sogar Jahre ohne juristische Begleitung im Gefängnis sind. Zu den politischen Straftaten sind die Zahlen, die überhaupt mit Vorsicht gesehen werden müssen, nicht greifbar, da oftmals keine Entschlüsselung nach politischer Relevanz erfolgt. So können Drogenhandel oder Waffenbesitz für politische, wie auch kriminelle Häftlinge gelten. Ein Mittel der Entpolitisierung und Stigmatisierung des Staates ist die Verurteilung nach kriminellen Maßstäben. Ein Ziel der politischen Gefangenen ist somit ihre politische Anerkennung und Zusammenlegung.

Erst im Februar gab es von der Nationalen Gefängnisbewegung in Kolumbien (Movimiento Nacional Carcelario en Colombia), eine Organisation, die es den Gefangenen des Landes ermöglicht hat, Räume für Dialog und Auseinandersetzung mit der Forderung nach ihren Menschenrechten zu entwickeln, eine öffentliche Klage (2) zu den Zuständen im ERON La Picota in der Hauptstadt Bogotá. Vor allem im Bereich der Gesundheits- und Nahrungsversorgung gibt es große Schwierigkeiten. Oftmals kommt es zu langwierigen Quarantänen aufgrund von Massenerkrankungen. Das heißt, das Besuche nicht empfangen werden dürfen und auch innerhalb des Gefängnisses die Mobilität stark eingeschränkt ist.

Dabei sind es strukturelle und lang bekannte Probleme, die nur zögerlich angegangen werden. Im ERON La Picota sind bereits in den Jahren 2018 und 2019 die Bereiche der Lebensmittelzubereitung vom Gesundheitssektor geschlossen worden, weil die hygienischen Mindeststandards nicht vorhanden waren. So gab es zum Beispiel in allen Kochbereichen Nagetiere, sowie keine Infrastruktur für die Entsorgung von organischen Abfällen und Abwasser. Vor allem durch die fehlende Abwasserentsorgung können sich Nagetiere, Mücken und Fliegen sehr schnell ausbreiten. Ein weiteres Problem ist die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln, sauberen Trinkwasser und der fehlende Zugang zu Medikamenten bzw. zum Gesundheitssystem. Hinzu kommen schlechte Zustände in den Zellen und Trakten der Gefängnisse, zum Beispiel seit vier Jahren nicht funktionierende Aufzüge zu den höheren Etagen.

Quellen:

(1) http://www.inpec.gov.co/web/guest/estadisticas/informes-y-boletines

(2) http://www.comitedesolidaridad.com/es/content/denuncia-p%C3%BAblica-4

Pastor Alape in Spanien – auch Simón Trinidad war Thema

Das ehemalige hochrangige FARC-EP-Mitglied und heutiger Verantwortlicher im Nationalen Rat der Wiedereingliederung der FARC in das zivile Leben, Félix Antonio Muñoz Lascarro alias Pastor Alape, befand sich Mitte Februar auf einer Reise in Spanien. Neben Auftritten in verschiedenen Organisationen oder Universitäten, gab es dabei auch ein Zusammentreffen mit Enrique Santiago, der von 2012 bis 2016 juristischer Berater der FARC-EP bei den Friedensgesprächen mit der kolumbianischen Regierung in Havanna war. Das Treffen diente dazu, Initiativen für die politische Wiedereingliederung zu besprechen, den systematischen Mord an ehemaligen Guerilleros zu thematisieren und auch die Situation der politischen Gefangenen sowie die Rückführung von Simón Trinidad zu erörtern. Enrique Santiago ist für die Partei Unidas Podemos der Sprecher zu lateinamerikanischen Themen. Wünschenswert wären Initiativen zur Freilassung von Simón Trinidad auch von deutschen Politikern.

Internationaler Strafgerichtshof unterstützt Frieden und Sonderjustiz

Im Rahmen seiner laufenden vorläufigen Untersuchung der Lage in Kolumbien unternahm eine Delegation der Staatsanwaltschaft des Internationalen Strafgerichtshofs, die höchste gerichtliche Instanz der Welt zur Beurteilung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, im Januar 2020 eine Mission in Kolumbien. Ziel dieser Mission war es, dass die Staatsanwaltschaft konstruktive Gespräche mit den Regierungsbehörden führte, um den Fortschritt der nationalen Verfahren in Bezug auf die im Zwischenbericht von November 2012 benannten Themen zu bewerten. Darüber hinaus führte die Staatsanwaltschaft wertvolle Gespräche mit Vertretern internationaler Organisationen und Mitgliedern der Zivilgesellschaft. In Kolumbien gibt es aufgrund des über 50jährigen innerstaatlichen Konfliktes ein großes Interesse an einer Aufarbeitung.

Die Staatsanwaltschaft führte auch Konsultationen zur Entwicklung der aktuellen nationalen Bemühungen um die Rechenschaftspflicht für Straftaten nach dem Römischen Statut, einschließlich der von der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden, kurz Sonderjustiz (JEP), sowie die Verfahren vor den ordentlichen nationalen Gerichten. In der Erklärung des Internationalen Strafgerichtshofes heißt es, dass die Staatsanwaltschaft die weitere konstruktive Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Regierung, internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft aufrecht erhalten wird und vor allem ihre Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien und für die Umsetzung umfassender Maßnahmen zur Erreichung der Gerechtigkeit bekräftigt.

Die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden ist eines der elementaren Säulen der zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-EP vereinbarten Friedensabkommens, dass unter internationaler Begleitung zustande kam. In der Sonderjustiz haben alle im innerstaatlichen Konflikt beteiligten Akteure die Möglichkeit, an der juristischen Aufarbeitung der im Konflikt begangenen Verbrechen mitzuwirken. Die Sonderjustiz ist Bestandteil des Integralen Systems für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung.

In diesem Zusammenhang weist die Staatsanwaltschaft erneut auf die Bedeutung der JEP und die Notwendigkeit hin, ihre Integrität und Unabhängigkeit zu wahren sowie die erforderlichen Ressourcen und Unterstützung bereitzustellen, um dieses wichtige Mandat auszuführen. Die Staatsanwaltschaft des Internationalen Gerichtshofes ist bereit, die Bemühungen der JEP um die Entwicklung geeigneter Mechanismen, Techniken und Verfahren mit dem Ziel zu unterstützen, Entscheidungen zu treffen, die sowohl rechtlich als auch sachlich mit den Zulässigkeitsanforderungen des Römischen Statuts vereinbar sind. Die Staatsanwaltschaft betont auch, wie wichtig es ist, strenge und wirksame Maßnahmen und Systeme für die ordnungsgemäße Umsetzung, Überprüfung und Überwachung der von der JEP verhängten Sanktionen zu entwickeln, insbesondere derjenigen, die die Freiheit einschränken.

Schließlich betont die Staatsanwaltschaft, wie wichtig es ist, dass die nationalen Stellen uneingeschränkt mit der Sonderjustiz JEP zusammenarbeiten, indem sie auch die für die Erfüllung ihres Auftrags erforderlichen Informationen, insbesondere die Übermittlung der in allen Verfahren gesammelten Informationen, zügig bereitstellen. Hierbei sei erwähnt, dass es Simón Trinidad bisher aufgrund der Weigerung der USA nicht möglich ist, trotz seiner geäußerten Bereitschaft, mit der Sonderjustiz zusammen zu arbeiten. Er befindet sich weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis ADMAX Colorado in Florence (USA), obwohl er als ehemaliges Mitglied der FARC-EP, einen Anspruch auf Anhörung und Mitwirkung in der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) in Kolumbien hat.

Mutter von Simón Trinidad gestorben

In einer Erklärung der Partei FARC (1) wird der Tod von Alix Pineda de Palmera bekanntgegeben, der sich am gestrigen 27. Dezember in der nordkolumbianischen Stadt Valledupar ereignete. Sie war die Mutter von Ricardo Palmera Pineda, besser bekannt als Simón Trinidad.

Die Mutter von Simón Trinidad schaffte fast die Jahrhundertgrenze und war überraschend vital mit geistiger Klarheit. Die Partei FARC schildert, dass sie zu ihrem letzten Geburtstag die Familie bat, ihr bei einer Reise in die USA zu helfen, um in das Hochsicherheitsgefängnis Florence, Colorado, zu fahren, um ihren Sohn zu sehen. Sie war nicht sicher, ob sie die 100 Jahre schaffen würde und wollte ein letztes mal Simón Trinidad umarmen und sich verabschieden.

Simón war sehr emotional berührt, als seine Augen ein letztes mal dem Angesicht seiner Mutter folgten, als sie sich verabschiedeten. Auch er dachte, es wäre wohl das letzte Treffen gewesen, von seiner Mutter, eine Frau mit beispielhaften Charakter und legendärer Schönheit.

Wir wissen von ihrem Leiden als Mutter, die mit einer beispiellosen Würde konfrontiert war. Zusammen mit ihrem Ehemann Ovidio mussten sie Zuflucht in der Stadt Asunción in Paraguay suchen, als in Cesar und in Kolumbien schwierige Zeiten herrschten. Immer die politischen Entwicklungen der inneren Konfrontation im Blick, bereitete sie sich auf die Rückkehr nach Kolumbien und nach Valledupar vor, als die Friedensgespräche weit fortgeschritten waren und es kein zurück mehr geben würde.

Dort im Ausland, im Exil, verlor sie ihren Lebenspartner, den Vater ihrer Kinder und musste ihn weit weg von seinem Land begraben. Ihre Enkelin Alix, die Tochter, die Simón im Krieg hatte, fiel ebenfalls wegen eines ominösen Bombenangriffs, als sie ihren Wunsch erfüllte, die Mutter im Dschungel des Südens des Landes zu besuchen.

Alix Pineda de Palmera ist in einem Alter von 99 Jahren nach einem Leben voller Gaben und Güte gestorben. Genau wie die Familie selbst, wie Freunde und wie Genossinnen und Genossen, in der Partei FARC sowie in anderen Organisationen und Komitees zeigen wir Solidarität und Bedauern über den Tod und geben unsere Kraft an Simón Trinidad, seine Familie, an Valledupar und ganz Kolumbien.

(1) https://partidofarc.com.co/es/actualidad/el-adi%C3%B3s-una-madre-698

Interview mit Andrés París

Auf dem Medienportal Colombia Informa gibt es ein Interview (1) von Danna Urdaneta mit Andrés París [bürgerlicher Name Jesús Emilio Carvajalino], der einen Teil der ehemaligen FARC-EP-Kämpfer*innen um sich schart, die sich von der FARC-Partei nicht mehr vertreten fühlen. Er selbst war hochrangiges Mitglied der ehemaligen Guerilla, ist aber nun unzufrieden mit der Führung der Partei und hat ihr den Rücken zugekehrt. Mit rund 2000 ehemaligen Kämpfer*innen der FARC-EP, denen es ähnlich geht, versucht er derzeit einen alternativen Weg der Wiedereingliederung. Mit in diesen Prozess ist auch Sonia involviert, eine ehemalige politische Gefangene der FARC, die in den USA mehr als 11 Jahre im Gefängnis verbrachte. In dem Interview geht es um die derzeitige Mobilisierung des kolumbianischen Volkes im Rahmen des Nationalstreiks, aber auch um Wahlen und die Situation der politischen Gefangenen, einschließlich Simón Trinidad.

Dabei ist interessant, dass Andrés París von mehr als 600 politischen Gefangenen spricht, die sich der FARC zugehörig fühlen und immer noch inhaftiert sind. Es ist ein großes Problem, dass derzeit in den kolumbianischen Gefängnissen viele Gefangene sind, deren rechtlicher Status immer noch ungeklärt ist. Dazu gehört eben auch die Zahl der zur FARC gehörenden inhaftierten Personen. Einige konnten sich nicht mehr in die Listen einschreiben, andere wiederum wurden von Regierung oder FARC nicht als ihre Mitglieder anerkannt. Und selbst jene, die mittlerweile von der Regierung als politische Gefangene der FARC anerkannt sind, gibt es 160-170, die sich noch immer in Haft befinden, obwohl das Friedensabkommen mehr als drei Jahre alt ist.

Dieses Problem der Anerkennung drückt sich auch darin aus, dass die FARC in einem jüngsten Kommuniqué des Nationalen Politischen Rates, dem höchsten Gremium der FARC-Partei, von einer Zahl von 171 Gefangenen ihrer Organisation spricht: „Wir grüßen unsere Genossen, die nach wie vor Gefangene sind, von denen 171 vom Staat als ehemalige Mitglieder der FARC-EP anerkannt sind, und fordern den Staat auf, sie gemäß der Vereinbarung unverzüglich freizulassen.“ (2) In einem Gruß von Tanja Nijmeijer an unser Komitee spricht sie selbst von mehr als 300 politischen Gefangenen in den Gefängnissen des kolumbianischen Regimes. 160 von ihnen wurden bereits von der Regierung bestätigt, also anerkannt. (3)

Wir übersetzen nun die Passagen, in den Andrés París Worte über die politischen Gefangenen und Simón Trinidad verliert:

Colombia Informa: Am 15. September letzten Jahres sandten sie einen Brief an Emilio Archila, Hoher Präsidentenberater für Stabilisierung und Konsolidierung, und an Andrés Felipe Stapper, Direktor der Agentur für Wiedereingliederung und Normalisierung, wo sie vorschlugen, politische Gefangene, die von den akkreditierten Listen ausgeschlossen waren, sowie andere ehemalige Kämpfer anzuerkennen, die zum ersten Mal nicht anerkannt wurden. Was hat sie motiviert zuzugeben, dass einige von den Listen gestrichen wurden, andere nicht einmal beim ersten Mal erkannt wurden, über wie viele politische Gefangene sprechen wir?

Jesus Carvajalino: Die Frage der Gefangenen ist ein weiterer Aspekt der administrativen Verwirrung und die unklare Art und Weise, wie die Führung der Rose [FARC-Partei, Logo der FARC-Partei ist die Rose] die Umsetzung der Vereinbarungen durchführt. Mehr als 600 Personen, die sich der FARC zugehörig fühlen, verbleiben in Gefängnissen, ohne ihren rechtlichen Status zu klären. Das liegt daran, dass die Listen geschlossen wurden, bevor sich alle ehemaligen gefangenen Kämpfer registrieren konnten. Unordnung und Vernachlässigung charakterisierten diese Arbeit, mittels dem sie unsere Leute durch Amnestie aus den Gefängnissen holen.

C.I.: Sie waren mehrmals in den Caguán-Dialogen [Friedensgespräche von 1999-2002] mit Simón Trinidad zu sehen. Was können sie uns über ihre Erfahrungen mit ihm erzählen und was ist in Havanna passiert, dass er nicht in die Friedensvereinbarungen aufgenommen werden konnte?

J.C.: Simón Trinidad war immer in den Dialogen von Havanna anwesend. Seine Freiheit wurde immer gefordert. Die kolumbianische Regierung und Gringos [USA] versprachen, ihn freizulassen, wenn der Friedensprozess voranschreitet. Die Vereinbarung wurde unterzeichnet und Simón wurde nicht freigelassen. Es ist offensichtlich, dass es in der Verhandlungsstrategie der kolumbianischen Regierung auch darum ging, Versprechungen aufzuschwatzen, auch um in diesem Punkt zu täuschen. Und Timoschenko hat nicht versucht, den Fall von Simóns Freilassung zur Angelegenheit einer roten Linie zu bestimmen.

C.I.: Das Wahlergebnis vom 27. Oktober bescherte Julián Conrado den Sieg in Turbaco. Und genauso gab es einige alternative Ausdrücke, die Räume der in den Regionen Kolumbiens konstituierten Macht eroberten. Dies sind wertvolle Gewinne, aber nicht ausreichend. Können Sie die 8 Millionen Stimmen, die Petro erhalten hat, den Raumverlust des Uribismus [rechter Politikstil des ehemaligen Präsidenten Uribe] bei den letzten Wahlen und den gegenwärtigen nationalen Streik als symptomatisch ansehen?

J.C.: Wahlen sind ein Raum, um die Korrelation von Kräften in der Politik zu messen. In der Tat haben die alternativen Bewegungen Fortschritte gemacht, aber auch die liberale Partei, die Teil des Establishments ist. Der Uribismus unterhält eine große Wahlbasis und geht auf Antioquia zurück, wo er entstand. Die Wahlen reichen jedoch nicht aus, um die Änderungen durchzusetzen.

Spaltungen und Opportunismus führen dazu, dass sich die Korrelation der Kräfte in den Organisationen der Wahl der Bevölkerung nicht gut widerspiegelt. In dem Nationalstreik wird deutlich, dass die Menschen in Kolumbien aus Protest gegen die Wirtschaftskrise protestierten. Und obwohl die Linke und die Alternativen im Wahlsektor auf dem Vormarsch sind, hat der Streik gezeigt, dass es in diesen Kräften sehr gravierende Lücken gibt, die keine Organisation und keinen Einfluss auf die Massen aufbauen.

Quellen:
(1) http://www.colombiainforma.info/mas-de-600-personas-de-farc-siguen-en-las-carceles-andres-paris/
(2) http://partidofarc.com.co/es/actualidad/declaraci%C3%B3n-pol%C3%ADtica-693
(3) https://simontrinidad.blackblogs.org/2019/12/06/gruss-von-der-internationalistischen-kaempferin-tanja-nijmeijer-alexandra-narino/

Gruß von der internationalistischen Kämpferin Tanja Nijmeijer/Alexandra Nariño

Ich begrüße die Veröffentlichung dieser Seite in internationaler Solidarität mit unserem Genossen Simón Trinidad, der zu Unrecht in einem Hochsicherheitsgefängnis in den Vereinigten Staaten inhaftiert ist.

Der Mann aus Eisen, sagen wir zu ihm. Ein waschechter Revolutionär. Ein Mann der, für die, die ihn kennenlernten, den Nerv getroffen hat. Wir sind berührt von seiner Geschichte, denn es ist die Geschichte eines Mannes, der gegen die Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Systems in all seinen Dimensionen gekämpft hat und weiter kämpft.

Ich traf Simon 2003 in einem Lager, wo er einen Kurs in politischer Ökonomie für die Guerilleros der 19. Front und der 39. Front der FARC-EP gab. Ich war vor ein paar Tagen aus der Stadt angekommen, immer noch voller Zweifel und Bedenken gegenüber der Guerilla, ihrer realen Kampfbereitschaft, ihrer Intentionalität und ihrem politischen Ziel.

Ungefähr vier Tage lang hatte ich die Gelegenheit, Unterricht bei Genosse Simón Trinidad zu besuchen. Ich lehnte mich leise zurück und beobachtete die Geduld, mit der dieser unbekannte Mann die Guerilleros und Guerilleras unterrichtete. Auf tausendfache Weise versuchte er der Guerrillerada (1) zu erklären, auf welchen Einheiten die Macht beruhte: auf der Polizei, der Armee und den Medien. Es gab viele Leute, die in diesem Unterricht nicht lesen oder schreiben konnten und er bemühte sich, es so zu erklären, dass sie ihn verstanden.

Ich war tief berührt von den Anstrengungen, die er unternahm, um diese Muchachos (2) auszubilden und ich sagte mir: Eine Organisation, die sich so für die Ausbildung ihrer Kämpfer interessiert, ist es, weil sie ein bestimmtes politisches Projekt hat. Ich denke immer, dass diese erste pädagogische Erfahrung in der FARC-EP für mich sehr wichtig war, um zu realisieren, dass ich in den Bergen bleiben wollte, um für eine bessere Welt zu kämpfen.

Zu diesem Zeitpunkt und trotz der Unterzeichnung des endgültigen Abkommens von Havanna befinden sich immer noch mehr als 300 politische Gefangene in den Gefängnissen des kolumbianischen Regimes. 160 von ihnen wurden bereits von der Regierung bestätigt, weshalb es keinen rechtlichen Grund gibt, warum sie noch nicht freigelassen wurden. 40% aller Anträge auf Freilassung werden in der JEP (3) abgelehnt. Die Solidarität mit diesen Gefangenen ist von wesentlicher Bedeutung, damit sie sich nicht allein fühlen und wissen, dass die Welt ihre Augen auf sie hat. Es ist unvorstellbar, dass es drei Jahre nach Unterzeichnung des Abkommens noch immer freiheitsberaubte Farianos und Farianas (3) gibt. Unsere Solidarität gibt ihnen Kraft, Energie und Mut, sich dieser unsinnigen Situation weiterhin zu stellen.

Tanja Nijmeijer / Alexandra Nariño (Ehemalige Kämpferin der FARC-EP)

(1) Guerrillerada ist die Bezeichnung für alle Kämpferinnen und Kämpfer der Guerilla
(2) Muchachos steht hier für junge Leute
(3) JEP (Jurisdiccion Especial para la Paz) ist die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden im Rahmen des Friedensabkommens
(4) Die FARC-EP bezeichnet sich selbst als „farianische“ Gemeinschaft

Zur Situation in den kolumbianischen Gefängnissen

Ende Oktober erschien auf dem alternativen kolumbianischen Nachrichtenportal Contagio Radio eine Reportage über die extreme Situation in den kolumbianischen Gefängnissen. Noch immer sind Gefangene der ehemaligen FARC inhaftiert, obwohl das Friedensabkommen schon über drei Jahre alt ist und alle politischen Gefangenen der ehemaligen Guerilla das Recht auf Anerkennung und Anhörung im Rahmen einer potentiellen Amnestie haben.

Der Pressedienst poonal, der regelmäßig Meldungen und Hintergrundberichte aus Lateinamerika in deutscher Sprache veröffentlicht, übersetzte die Reportage in die deutsche Sprache. Hier geht es zur Reportage „Überleben im kolumbianischen Gefängnis“ auf poonal, Foto und Reportage von José Rocamora (Contagio Radio).