Die Genfer Konventionen und die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) im Fall von Simón Trinidad
Für die ehemalige FARC-EP war die Anerkennung als politischer Akteur bzw. Kriegspartei eine ihrer Hauptaufgaben. Besonders in den letzten Jahren ihres Bestehens, noch vor dem Friedensprozess mit der Regierung von Juan Manuel Santos ab dem Jahr 2012, wurde sie als terroristische Organisation bezeichnet und ihr jeglicher politischer Status abgesprochen. Dabei ist in Dokumenten und Gesetzen der Vereinten Nationen sowie in den Genfer Konventionen geregelt, wie mit Kriegszustand, Menschenrecht und Neutralität in innerstaatlichen bewaffneten Konflikten umgegangen werden soll. Dabei sind Friedensverhandlungen mit einem politisch-militärischen Akteur wie der FARC-EP ein eindeutiges Zeichen, dass eine Regierung diesen Akteur auch politisch anerkennt. In der Geschichte der FARC-EP geschah dies bereits mehrmals, auch mit internationaler Begleitung. Mit den Friedensgesprächen ab dem Jahr 2012, die schließlich im Jahr 2016 in einen Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-EP mündeten, ist die Anerkennung als politischer Akteur und Kriegspartei eindeutig bewiesen. Mit dem Friedensprozess und dem Friedensvertrag hat der kolumbianische Staat logischerweise auch einen bewaffneten Konflikt bzw. einen Bürgerkrieg anerkannt, den er jahrelang negierte.
Das internationale Recht, bzw. die Genfer Konventionen, sehen in Bezug auf die Anerkennung einer politischen Organisation bzw. Kriegspartei in Kriegen folgende Punkte als wichtig für die Beurteilung an: Die Organisation muss politische Ziele verfolgen, die Organisation muss eine politische Führung und Leitung besitzen, die Organisation muss disziplinarische Strukturen innerhalb ihrer Streitkräfte unterhalten, die Organisation muss Territorien innerhalb eines Landes kontrollieren und zu guter Letzt muss die Organisation die Gepflogenheiten und das internationale Recht in Kriegen respektieren. Einige der Punkte stehen im Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II). Die Ursprünge der FARC-EP lagen in der vorherrschenden sozialen Ungerechtigkeit, in der Verteidigung sozialer Rechte und in der Selbstverteidigung von Bauern gegen marodierende paramilitärische Gruppen. Sie hatte klare politische Ziele und diese wurden auf Kongressen und Konferenzen unter Einbeziehung ihrer Mitglieder definiert und beschlossen. Als eine politisch-militärische Organisation gab es innerhalb der FARC-EP klare Befehls- und Entscheidungsstrukturen mit Verantwortlichkeiten sowie disziplinarischen Regularien und Anordnungen. In vielen Gebieten Kolumbiens übte die Organisation die militärische, politische und soziale Macht aus.
In den vorangegangenen Punkten sowie mit dem abgeschlossenen Friedensvertrag im Jahr 2016 wird deutlich, dass es sich bei der FARC-EP um einen politisch anerkannten Akteur gemäß der Genfer Konventionen handelt. Geregelt wird in hierbei im Artikel 6 mit Namen „Strafverfolgung“ auch die Freilassung der beteiligten Personen. So heißt es im Artikel 6 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II), angenommen in Genf am 8. Juni 1977: „Bei Beendigung der Feindseligkeiten bemühen sich die an der Macht befindlichen Stellen, denjenigen Personen eine möglichst weitgehende Amnestie zu gewähren, die am bewaffneten Konflikt teilgenommen haben oder denen aus Gründen im Zusammenhang mit dem Konflikt die Freiheit entzogen wurde, gleichviel ob sie interniert oder in Haft gehalten sind.“ Folgerichtig muss Simón Trinidad als Mitglied und inhaftierte Person der ehemaligen FARC-EP unter diese internationale Richtlinie fallen und freigelassen werden.
Ein weiterer juristischer Aspekt im Fall von Simón Trinidad ist die Weigerung, ihn nicht an der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden teilhaben zu lassen. Die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (Jurisdiccion Especial para la Paz – JEP) ist der wichtige juristische Bestandteil des Integralen Systems für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung (SIVJRNR), welches im fünften Punkt des Friedensabkommens vereinbart wurde. Das System schließt an ein im Dezember 2016 erlassenes Amnestiegesetz an. Diese Sondergerichtsbarkeit für den Frieden ist das Rückgrat des Friedensprozesses, schließlich erhoffen sich damit alle am Konflikt beteiligten Akteure Strafminderung bzw. Amnestie, wenn sie im Gegenzug bei der Aufklärung der Wahrheit und bei Akten der Wiedergutmachung mitmachen. Politische Gefangene müssen freigelassen werden und ihnen schließlich die Teilnahme an der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden ermöglicht werden. Bisher wird dies Simón Trinidad verweigert und die kolumbianische Regierung meint, sie könne sich nicht in das US-amerikanische juristische Verfahren einmischen. Wir meinen jedoch, die Genfer Konventionen und auch der mit internationaler Begleitung entstandene Friedensvertrag sollten dies möglich machen.